ist in Nürnberg aufgewachsen und 38 Jahre alt. Davon hat sie die Hälfte in Italien verbracht. Zuerst in Florenz zum Modestudium und später dann, der Liebe wegen, in Rom an der Akademie der Bildenden Künste. Mit dem Online-Projekt "Photopasticcio" verbindet sie zwei ihrer großen Leidenschaften und Talente. Schon von Kindesbeinen an liebt Kerstin es, Torten und Kuchen zu backen. Heute kreiert sie süße Kunstwerke und rückt sie mit der Fotokamera ins rechte Licht.
Als wir uns heute in der Cafeteria des Chiostro di Bramante mitten im Herzen der römischen Altstadt treffen, ist unser erstes Thema der römische Verkehr, in dem Kerstin zwei Stunden festgesteckt hat. Ich erfahre, dass sie nach vier vergeblichen Anläufen in Deutschland ihren Führerschein schlussendlich ausgerechnet in Rom erwarb. Wie sie selbst vermutet, jedoch nur weil der Fahrprüfer sie für die Tochter des Deutschen Botschafters hielt. Mittlerweile fühlt sie sich im Chaos auf römischen Straßen fast wohler als im geregelten deutschen Verkehr. In Deutschland säße ihr das permanente Schuldgefühl gegen eine Verkehrsregel zu verstoßen im Nacken, während hier in der Ewigen Stadt ein Fahrfehler mehr oder weniger, nicht weiter auffällt. Auch wenn Kerstin befürchtet nach 19 Jahren in Italien keinen neutralen Blick mehr auf die Ewige Stadt zu besitzen, halte ich sie genau aus diesem Grund für eine perfekte Gesprächspartnerin. Denn wie sie selbst erzählt, sitzt sie oft zwischen den Stühlen und muss in Deutschland die italienischen Eigenarten erklären, und sich in Italien für die deutsche Politik rechtfertigen.
Nicole: Erzähl mir von Deinem Start in Rom. Gab es da Integrationshürden für Dich zu überwinden oder hast Du Dich auf Anhieb zurecht gefunden?
Kerstin: Nach drei schönen Jahren in Florenz bin ich nach Rom gekommen. Mit der Vorstellung, dass je weiter ich in den Süden komme, um so offener und toleranter sind die Menschen. Das war dann allerdings nicht der Fall. Ich hatte eben diese typisch deutschen Illusionen über Italien, dass dich alle mit offenen Armen empfangen. Ich musste mich von einer eher konservativ geprägten Kultur überzeugen. Gerade als Deutsche hatte ich ständig das Gefühl mich rechtfertigen zu müssen. Das grösste Kompliment, dass dir ein Italiener machen kann lautet: Du bist gar nicht wie eine Deutsche. Anfangs hatte ich Schwierigkeiten mich in Rom zu orientieren. Das Zentrum ist riesig! Bei dem Versuch sich zurecht zu finden, verlieren sich hier viele und fühlen sich auch verloren. Das gilt übrigens auch für zugezogene Italiener. Anderseits bietet diese immense Größe und das Untertauchen in der Menschenmasse auch Vorteile. So besteht Rom aus so vielen unterschiedlichen Vierteln, dass man beim Wechsel von einem in das andere das Gefühl hat, eine komplett andere Stadt zu betreten. Du bist niemand in Rom. Du kannst jeden Tag wieder aufs Neue Menschen kennenlernen. Ich wohne in der Nähe des Vatikans und dort hat man die Welt unter dem Haus. Das ist das Schöne hier!
Nicole: Was ist Dir am Anfang in der Ewigen Stadt sonst noch aufgefallen? Gerade im Umgang mit den männlichen Bewohnern.
Kerstin: Gerade als ich noch jünger war, wurde ich hier ständig angesprochen. Anfangs wusste ich nicht wie ich mit diesen Avancen umgehen sollte und habe begonnen Telefonnummern zu sammeln. Nicht um sie zu wählen, sondern um die Herren auf höfliche Art und Weise auf Abstand zu halten. Denn wenn ich erst einmal nach ihrer Nummer gefragt hatte, war der erste Eifer schon mal verflogen. So langsam habe ich mich dann an dem Verhalten der Italienerinnen orientiert. Die italienische Frau ist extrem selbstbewusst und gibt sich in solchen Situationen einfach arroganter, weil sie diese allgegenwärtige männliche starke Aufmerksamkeit gewohnt ist.
Nicole: Mir zum Beispiel wird regelmäßig von wildfremden Herren attestiert, dass ich wunderschöne blaue Augen hätte. Mittlerweile nervt mich dieses Kompliment mehr, als dass es mir schmeichelt. Bin ich dann allerdings in Deutschland und keiner findet meine Augen mehr toll, ist das auch merkwürdig...
Kerstin: Ja, die Männer in Deutschland schauen einem höchstens Mal aus den Augenwinkeln nach. Die italienischen Männer sind einfach sehr viel direkter. Wobei es den Männern nicht um dich geht. Eine ist so gut wie die andere, sagt man hier.
Nicole: Das klingt nach einem sehr eindimensionalen Frauenbild...
Kerstin: Ich würde es eher zwiespältig nennen, gerade wenn man das Frauenbild im italienischen Fernsehen betrachtet. Da gibt es einmal das sexy Mäuschen, das halbnackt über den Bildschirm tanzt und die Mama am Herd, die den Kochlöffel schwingt. Genau in diesem Zwiespalt lebt die Italienerin tagtäglich. Selbst im Berufsleben kannst du keine Karriere machen, wenn du dich nicht entsprechend kleidest und zurecht machst. Auch in der Politik gibt es ausreichend Beispiele, dass der äußere Aspekt bei Frauen extrem wichtig ist. Da möchte ich von den Damen, die im Zuge der Ära Berlusconi die politische Bühne betreten haben, nur als Spitze des Eisberges sprechen. Es klingt hart, aber Angela Merkel als Premierministerin wäre in Italien undenkbar.
Nicole: Wie finden die Römerinnen es, dass so extrem auf ihr Äußeres geachtet wird?
Kerstin: Die sehen das glaube ich gar nicht so kritisch. Sie sind ja mit diesem medialen Frauenbild aufgewachsen, das der ganzen Familie bereits im Vorabendprogramm aufgetischt wird. Wenn die sogenannten Veline über den Bildschirm flimmern. Das sind leichtbekleidete Fernsehassistentinnen, die kein einziges Wort sprechen,stattdessen sexy tanzen, sich auf Schreibtischen räkeln oder irgendein Utensil auf die Bühne bringen. Intelligenz ist hier nicht gefragt, der leicht dümmliche Eindruck, den die Damen hinterlassen, ist allerdings gewollt.
Nicole: Kaum zu glauben, dass Velina als ein realer Berufswunsch unter italienischen Mädchen gilt.
Kerstin: Oh doch! Schon im Kindergarten äußern Mädchen diesen Wunsch. Was nicht verwunderlich ist, wenn man jeden Abend beim Essen diese Veline als Fernsehstars präsentiert bekommt. Zum anderen lernen Mädchen sehr früh, wie entscheidend die richtige Optik und ein entsprechendes Verhalten ist. Sie werden herausgeputzt und jede Tanzeinlage innerhalb der Familie wird gefeiert. Das ist sicherlich ein unbewusster Prozess, in dem viele Eltern überhaupt kein Problem sehen. Man stellt seine hübsche Tochter ja nicht zur Schau, weil man sie auf ihr Äußeres reduzieren will, sondern weil man stolz auf sie ist und es hier nun einmal so abläuft. Im Grunde ist es ja überhaupt nicht verwerflich auf ein gepflegtes und modisches Aussehen zu achten. Aber es sollte nicht das Wichtigste im Leben einer Frau sein.
Nicole: Nun landen ebenso wenig Mädchen in Italien beim Fernsehen, wie in Deutschland junge Damen bei Heidi Klum auf dem Laufsteg. Welche alternativen Lebensmodelle bieten sich jungen römischen Frauen.
Kerstin: Wenn wir von der Mittelschicht reden, dann ist es so, dass viele Mädchen studieren. Das ist normal! Italien befindet sich seit Jahren in der Wirtschaftskrise, Berufseinsteiger haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Weibliche wie männliche. Außer man verfügt über gute Beziehungen, dann ist es etwas einfacher. Mittlerweile verzichten viele Frauen für ihre Karriere auf Nachwuchs oder verschieben den Kinderwunsch so spät wie möglich nach hinten. Auch aus finanziellen Gründen. Das Leben ist hier extrem teuer. Selbst die Männer leben bis zu ihrer eigenen Hochzeit bei der Mama.
Nicole: Die berühmt berüchtigten Nesthocker.
Kerstin: Richtig. Die sind kein Gerücht, sondern Realität.
Nicole: Zum Muttertag gab es im italienischen Fernsehen eine Sendung, die sich der aktuellen Situation der Mütter in Italien gewidmet hat und dort wurde genau der Punkt bestätigt, den du eben angesprochen hast. Italienische Mütter sind im Schnitt die ältesten in Europa und zudem hat Italien eine noch niedrigere Geburtenrate als Deutschland.
Kerstin: Klar. Man hat auch sehr wenig Hilfen hier als Mutter. Wenn man Familie hat, dann kann man sich irgendwie "organisieren" wie man in Italien so schön sagt. Da springen dann Opa und Oma oder auch mal eine Tante zum Babysitten ein. Ist man aber zugezogene Römerin und ist auf sich allein gestellt, wird es sehr schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Nicole: Wie sieht es mit der rechtlichen Gleichberechtigung der Frauen in Italien aus?
Kerstin: Seit 2003 taucht der Begriff Gleichstellung in der italienischen Verfassung auf. Wahlrecht besitzen die italienischen Frauen erst seit 1946. Es hat bis 1975 gedauert bis Vater und Mutter vor dem Gesetz als Erziehungsberechtigte mit gleichen Rechten gelten. Irgendwie klinge ich gerade wie eine deutsche Feministin. Dabei hatte ich in Deutschland - obwohl ich mit zwei Brüdern aufgewachsen bin - nie das Gefühl mir als Frau irgendwelche Rechte erkämpfen zu müssen. Wobei natürlich nicht alle Männer in Rom Machos sind. Viele von ihnen sind kleine oder auch mal große Charmeure. Diese wohltuende Eigenschaft liegt sozusagen im männlichen DNA verankert. Der italienische Mann weiß genau wie man einer Frau dezent schmeichelt, d.h. normalerweise, ohne dabei unanständig oder gar lästig zu werden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass - bei allen positiven Seiten der Gleichstellung der Geschlechter - viele Herren in Deutschland gar nicht mehr wissen wie man einer Frau charmant den Hof macht. Ich auf jeden Fall bin gerne Frau in Rom, sonst hätte ich es nicht so viele Jahre hier ausgehalten.
Nicole: Ein gute Vorlage für meine letzten kurzen Fragen!
Was vermisst Du am meisten, wenn Du nicht in Rom bist.
Kerstin: Das Temperament der Ewigen Stadt!
Nicole: Worauf kannst Du gerne in Rom verzichten?
Kerstin: Behördengänge!
Nicole: Beschreibe Rom mit drei Worten
Kerstin: La Dolce Vita, Anarchie und Kreativität
Nicole: Was würdest Du in Rom einer deutschen Freundin zeigen
Rom zur Aperitivo-Stunde und den Chiostro di Bramante!
Im Wirrwarr der Gassen rund um die Piazza Navona liegt der Chiostro di Bramante, in dem Kerstin Bude und ich uns zum Interview getroffen haben. Der Renaissancekünstler Donatello Bramante hat den doppelstöckigen Kreuzgang entworfen, der zu einem Klosterkomplex gehört. In dem Gebäude befindet sich heute ein Museum, dessen wechselnden Ausstellungen ein fester Anlaufpunkt für Kunstliebhaber in Rom ist. Wer nur ein wenig Ruhe sucht, der ist in der ersten Etage des Kreuzganges in der Cafeteria sehr gut aufgehoben. In einem der Räume, die vom Kreuzgang aus zugänglich sind, wartet ein echtes Highlight. Durch eine Fenster hat man einen direkten Blick in die Kirche Santa Maria della Pace und ein wundervolles Fresko über dem Bogen der Chigi Kapelle. Die Sybillen von Raffael, ein weiterer berühmter Maler und Architekt der Renaissance. Raffael und Bramante sollen übrigens gute Freunde gewesen sein. Während Bramante zum ersten Dombaumeister des Petersdoms berufen wurde, bekam Raffael den Auftrag die Stanzen, die päpstlichen Gemächer, mit Gemälden zu verzieren. Um die zu sehen, stehen heute viele Rombesucher vor den Vatikanischen Museen Schlange. Hier am Fenster des Chiostro di Bramante geht es bedeutend ruhiger zu.
Chiostro del Bramante, Via Arco della Pace 5, ganz nah an der Piazza Navona, 10 - 20 Uhr
Wer in Rom weilt, darf sich unter gar keinen Umständen einen Aperitivo entgehen lassen! Mit dem startet man in der Ewigen Stadt nicht nur mit einem alkoholhaltigen Getränk seiner Wahl und Knabberzeug in einen langen Abend. Neben aufregenden Locations an romantischen Plätzen locken römischen Lokale, Bars, Restaurant, Cafés oder auch Bäckereien zur Vorabendzeit mit Tellern voll unwiderstehlichem Fingerfood oder mit reichhaltigen Buffets. An denen essen sich besonders gerne die jungen Römer satt und verzichten dafür gerne mal auf die klassische Cena (Abendessen) im Restaurant. Beim Aperitivo dreht es sich jedoch nicht ausschließlich um den kulinarischen Genuss, sondern auch um pures römisches Lebensgefühl. Es wird mit Freunden und Arbeitskollegen geplaudert und diskutiert. Es wird gelacht und geflirtet. Und das alles in einer einzigartigen Kulisse!
Unweit des Petersdoms liegt im Stadtteil Prati das Atlante Hotel, auf dessen Dach eine
aussichtsreiche Terrasse thront. Hier kann man bei einem Gläschen Prosecco und ein paar Häppchen stilvoll zu schauen wie die Sonne hinter der Kuppel des Petersdoms untergeht. Prati, Atlante Hotel, Via G. Vitelleschi 34
Übersetzt bedeutet "Zanzara" Mücke. Und aus der macht man in Rom zur Zeit wahrlich einen Elefanten. Am Wochenende hat man den Eindruck halb Rom würde sich auf dem Bürgersteig vor dem Restaurant mit New Yorker-Retro-Industrieviertel-Charme drängen, um irgendwann Einlass gewährt zu bekommen. Wer also einen der vielen und immer besetzten Tische zur späteren Stunde sicher haben möchte, sollte unbedingt reservieren. Ich hingegen empfehle zur "Aperitivo-Zeit"(18-21 Uhr)im "La Zanzara" vorbeizuschauen. Gegen 18 Uhr ergattert man noch problemlos einen Hocker an der Bar. Dort ist man am Besten aufgehoben, denn das Barteam zeigt auch bei ausländischen Gästen vollen Einsatz, während es im hinteren Bereich bei Nicht-Stamm-Gästen - sagen wir einmal- ein wenig lieblos zugehen kann. Während man an dem Drink/Cocktail/Aperitif seiner Wahl (meine Wahl: Bianco Sprizz!!) nippt, werden einem ständig Leckereien in Miniatur-Format vor die Nase gestellt. Von der Pizza über kleine Salate bis hin zu Gnocchi reichen die kleinen Gerichte und sind alle im Getränkepreis inbegriffen.
Prati, La Zanzara, Nähe Petersdom, Via Crescenzio 84, Buslinie 492, Tram 19
Am Abend trifft man sich im hippen Stadtteil Monti (nur ein Katzensprung von der Via Fori Imperiali) auf der Piazza della Madonna di Monti. Einige der kleinen Bars rund um den Brunnen bieten erst gar keine Sitzplätze an, stattdessen geht es mit dem Glas Wein ab auf den Platz, der sich im Laufe des Abends immer mehr füllt. Wer sich das einzigartige Spektakel aus einer bequemen Sitzposition heraus anschauen möchte, kehrt zum Aperitivo ins "La Bottega del Caffè" ein. Unter Efeuranken den Efeuranken weht hier auf schmiedeeisernen Sitzgelegenheit ein Hauch von Frankreich während sich vor einem pures italienisches Leben abspielt.
Monti, La Bottega del Caffè, Nähe Kolosseum und Via Fori Imperiali, Piazza Madonna dei Madonna dei Monti 5
"Mein" Styleguide Rom für den NATIONAL GEOGRAPHIC!
Monatelang war ich für dieses tolle Projekt kreuz und quer in Rom unterwegs. Ständig auf der Suche nach den tollsten, coolsten, hippsten, sehenswertesten und einzigartigsten Locations. (Meine Erlebnisse mit den kapriziösen Römern während der Recherchearbeiten müsste ich eigentlich in einem separaten Buch verarbeiten...) Gefunden habe ich knapp 150 Restaurants, Cafés, Museen, Designer, Manufakturen, Bars, Hotels und tolle Interview-Partner, die Einblicke in ihr römisches Leben gewähren. So wie Cristian, Barista in einem der ältesten römischen Cafés. Oder die wunderbare Signora Luisa Longa. Künstlerin und Besitzerin eines traumhaften B&B in Trastevere.
Liebe Rom-Freunde, für alle diejenigen, die das schönste Chaos in Italien aus der Nähe kennenlernen möchten und auf der Suche nach ein paar Tipps, Anregungen und Inspirationen für den nächsten Rom-Trip sind, gibt es jetzt den "Fettnäpfchenführer Rom". Darin können Sie blättern, lesen und vor allem noch tiefer in den aufregenden römischen Alltag eintauchen. Ich wünsche Ihnen genauso viel Spaß beim Lesen wie ich ihn beim Schreiben hatte! Wer vorab einen Blick in das Inhaltsverzeichnis werfen möchte kann dies hier tun.