Die Region Kampanien im Süden Italiens ist vor allem für ihre Hauptstadt Neapel und die Amalfiküste bekannt. Rund um den Vesuv herrscht die höchste Bevölkerungsdichte in ganz Italien. Wer sich schon einmal Neapel über die Autobahn aus Richtung Norden genähert hat, wird den Anblick der Stadt aus der Ferne nicht so schnell vergessen. Ein unendliches Meer aus Häusern, das sich wild wuchernd und mit wenig Sinn für architektonische Ästhetik bis an die Hänge des imposanten Vulkankegels ausbreitet. Eng ist es hier. In jeder Hinsicht. Unfassbare Schönheit und unglaublicher Verfall, umwerfende Herzlichkeit und brutale Kriminalität, ansteckende Lebensfreude und nicht nachvollziehbare Ignoranz wohnen hier ganz nah beieinander. Die Gegend ist etwas für Entdecker*innen, auf die solche Widersprüchlich-keiten ebenso attraktiv wirken wie gutes Essen und einzigartige Kunst.
Nach diesem Intro lässt sich erahnen, dass ich Neapel und seinem Umland durchaus etwas abgewinnen kann. Zu den Überraschungen, die man hier entdecken kann, gehört zum Beispiel Santa Maria Capua Vetere in der Nähe von Caserta. Meine erste Reise in das Städtchen galt dem dort produziertem Mozzarella, dessen guter Ruf sich bis zu uns nach Rom herumgesprochen hatte. Außerdem war mir von den sehenswerten Überresten eines kleinen Kolosseums berichtet worden. Wobei nach einer kurzen Recherche bald klar war, dass die Bezeichnung "klein" dem Anfiteatro Campano nicht gerecht wurde. Immerhin handelt es sich um das zweitgrößte Amphitheater nach dem Kolosseum in ganz Italien. Es stammt aus dem Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. und erlebte seine besten Zeiten, als Santa Maria Capua Vetere nur Capua hieß und von Cicero als das "alter roma", das andere Rom, betitelt wurde. Fährt man heute an den freudlosen Fassaden der Stadt vorbei, mag man kaum glauben, dass Capua in der römischen Antike ein Ort voll Luxus und Pomp gewesen war.
Zum Amüsement der römischen Upper-Class diente das marmorne Amphitheater, in dem 40.000 Zuschauer auf 4 Stockwerken Platz fanden. Hier in Capua befand sich die erste und berühmteste aller Gladiatorenschulen. Genau hier begann der Aufstand des Spartakus, der sich zum Dritten Sklavenkrieg ausweitete und das allmächtige Rom zwei Jahre (73. v. Chr. - 71 v. Chr. )lang in Atem hielt.
Seine Geschichtsträchtigkeit sieht man dem Anfiteatro auf dem ersten Blick heute nicht mehr an. Nach dem Ende des römischen Reiches erlitt das imposante Gemäuer das Schicksal vieler römischer Hinterlassenschaften. Es wurde geplündert und als Steinbruch missbraucht. Großteile des Theaters wurden in der Stadt verbaut, wie z.B. in der Normannen-Burg Castello delle Pietre oder der Kathedrale Maria Santissima Assunta in Cielo. Auch wenn von dem Anfiteatro Campano längst nicht mehr so viel übrig geblieben ist wie von dem jüngeren Kolosseum, hatte ich bei meinem ersten Besuch mit einigem Andrang gerechnet. Immerhin hatte hier der weltberühmte Spartakus gekämpft, dessen Aufstand es bis auf neuzeitliche Filmleinwände gebrachte hatte. Stattdessen stand ich alleine mit meiner Familie auf einer halb verwilderten grünen Wiese. Vor uns erhob sich eine verlassene Ruine, hinter der sich am Horizont karge Hügel und die oberen Stockwerke nüchterner Hochhäuser abzeichneten. Die nächste Überraschung erwartete mich an der Museumskasse. Erwachsene zahlen nur 2,50 EUR Eintritt, Kinder und Jugendlich bekommen das Amphitheater umsonst zu sehen. Unerwartet fand ich auch den Anblick eines stylisches Bio-Bistrots, von dessen Außenplätzen man mitten im vermeintlichen Nichts einen herrlichen Blick auf das Anfiteatro hat.
Ich liebe es, durch antike Ruinen fast unter Auschluss der Öffentlichkeit zu spazieren. Eine Erlebnis, das sich in Rom sehr selten - in Süditalien jedoch sehr oft - bietet. So ähnlich müssen sich die noblen und gebildeten Damen und Herren aus Nordeuropa gefühlt haben, als sie auf ihrer Grand Tour durch Italien pilgerten. Selbstverständlich hat auch Goethe während seiner Italien Reise hier einen Stopp eingelegt. Obwohl man weiß, dass man nicht der allererste Mensch an diesem verlassenem Ort voller Geschichten und Geschichte ist, fühlt es sich so an. Ich zumindest hatte im Anfiteatro Campano das Bedürfnis aus lauter Ehrfurcht auf Zehenspitzen zu schleichen. Unter gar keinen Umständen wollte ich diese fast schon surreale Ruhe stören.
Das absolute Highlight im Amphitheater in Capua sind die Katakomben, die man ganz alleine erkunden darf. Ganz alleine war ich allerdings nicht in den schmalen Gängen unterwegs. Ein verwilderter Hund folgte mir auf meinem Weg durch den unterirdischen Teil des Circus. Nach einem ersten Schreck, stellte ich allerdings fest, dass der gefährlich aussehende Kerl weit mehr Respekt vor mir hatte als umgekehrt. Während der Anblick des Theater-Inneren eher ernüchternd ist, so ist ein Streifzug durch diese gut erhaltene Unterwelt ein einzigartiges Erlebnis. Wenn diese Steine reden könnten, sie hätten unendlich viel zu erzählen.
Auf dem Gelände befindet sich ein kleines Museum, das sich der Geschichte des Amphitheaters und seiner Gladiatorenschule widmet. Hier bekommt man annähernd eine Idee, wie prunkvoll das Theater und wie brutal die Kämpfe gewesen sein müssen. In dem Eintrittspreis für das Amphitheater samt Gladiatorenmuseum in Höhe von 2,50 EUR ist übrigens auch der Besuch eines gut erhaltenen Mitreum enthalten.
Anfiteatro Campano
Piazza I Ottobre
Santa Maria Capua Vetere
Öffnungszeiten: montags geschlossen, Dienstag - Sonntag von 9.00 - 18.00 Uhr
Wer jetzt gedanklich noch dem anfangs erwähnten Mozzarella nachhängt, dem lege ich diese Adresse ans Herz:
Casaro del Re
Via Santa Maria Capua Vetere 127
08.00 - 20.30 Uhr
Neben dem klassischen Mozzarella gibt es hier auch Treccia, Mozzarella, der zu Zöpfen geflochten ist. Sehr lecker schmeckt auch der Ricotta aus Büffelmilch. Am besten schaut man vormittags vorbei. Besonders zum Wochenende hin, wird die Auswahl am Nachmittag recht überschaubar.
Ausflugsziele:
Von Capua aus sind es nur 15 km bis zur Reggia di Caserta. Der prunkvolle Palast samt ausuferndem Park ist wirklich sehenswert. In der Nähe liegt das ungewöhnliche San Leucio. Rund um eine Seidenmanufaktur wurde eine barocke Musterstadt errichtet, die heute zu besichtigen ist. Immer eine Reise wert ist die Hafenstadt Pozzuoli, die auf einem Supervulkan liegt, den phlegräischen Feldern. Also nicht wundern wenn hier Rauschschwaden aus dem Boden steigen und es hin und wieder nach faulen Eiern duftet. Für den Geruch entschädigt der einzigartige Blick auf den Golf und Capri! Mehr zu all dem, gibt es bald auf dem Blog.