Rom, die Moderne und ein Schlafzimmerfenster!

Rom tut sich schwer mit allem Neuen.  Ganz egal ob in der Kunst, Architektur oder Mode - in der italienischen Haupstadt scheint der Blick ständig rückwärts auf die glorreiche Vergangenheit gewandt .  Viele Römer begegnen der Moderne mit unverholener Skepsis . Mehr als 2000 Jahre pralle Kulturgeschichte haben Maßstäbe gesetzt, die aus heutiger Sicht nur  schwer zu übertrumpfen sind. Wie könnte etwas in der Zukunft je großartiger sein als das Kolosseum, ein barockes Gemälde von Caravaggio oder eine klassische Robe von Valentino?

Rom, Ara Pacis Augustae - Der moderne Bau um den Friedensaltar des Augustus löste Empörungs-Sturm aus
Rom, Ara Pacis Augustae - Der moderne Bau um den Friedensaltar des Augustus löste Empörungs-Sturm aus

Die Moderne - Modeerscheinung und Subkultur

Als im Jahr 2005 der amerikanische Architekt Richard Meier für den antiken Friedensaltar des Augustus ein neues Zuhause, das Museo dell` Ara Pacis, fertigstellte, stand nun mitten im historischem Zentrum ein modernes Gebäude.  Kaum waren die Pläne des Baus an die Öffentlichkeit geraten, war ein Sturm der Entrüstung in Rom ausgebrochen.  Man könne sich in einer ewigen Stadt  doch nicht solchen Modeerscheinungen wie klaren Linien aus Beton und Glas unterwerfen. Dieser Bau sei ein häßlicher Betonklotz, der an eine texanische Tankstelle erinnere.

 

Als die Stararchitektin Zaha Hadid ihre Idee eines Museums für Kunst des 21. Jahrhunderts in die Realität umsetzen durfte, wurden dem Bauvorhaben so viele Steine in den Weg gelegt, dass es 10 Jahre bis zur Eröffnung des MAXXI brauchte. Als ich im Rahmen meiner Recherchen für den Styleguide Rom  zahlreiche Interviews mit  Jung-Designer*innen geführt habe, hörte ich immer wieder Geschichten darüber, wie anstrengend der Kampf gegen die römische Ignoranz gegenüber allem Neuen war.

Rom, MAXXI - Das Museum für Kunst des 21. Jahrhundert im Stadtviertel Flaminio
Rom, MAXXI - Das Museum für Kunst des 21. Jahrhundert im Stadtviertel Flaminio

Selbstverständlich existieren auch in der ewigen Stadt Orte, an denen Künstler, Musiker, Designer, Köche und Kreative ihren  Ideen und Visionen freien Lauf lassen. Sie haben für sich das Viertel Monti mitten in Rom erobert und sind gerade dabei, den vernachlässigten Stadtteil Esquilin wieder zu beleben. Sie verwandeln eine Ex-Wurstfabrik in einen Geheimtipp für Zeitgenössische Kunst (MAAM) und betreiben großartige Kulturprojekte in den Randbezirken der Stadt. Allerdings wird diese römische Szene nicht als Trendsetter wahrgenommen, sondern eher als Subkultur. Während in Mailand Modetrends gesetzt und in Neapel U-Bahn-Stationen zu Tempeln moderner Kunst umgebaut werden, schaut man in Rom lieber weiterhin in den historischen Rückspiegel.  Warum ist das so?  Vielleicht weil der Faible für  Dinge mit Vergangenheit den Römern bereits in Fleisch und Blut übergangen ist - wie die nun folgende kleine Geschichte erzählt. Eine Art Fenster-Gleichnis für die Modernisierungsunlust der Römer.

Zeitgenössische Treppenkunst in Trastevere
Zeitgenössische Treppenkunst in Trastevere

Ein Fenster, ein Hausmeister und Modernisierungsunlust

Das Fenster, um das es sich dreht, gehörte zu meiner Wohnung in Rom. Eine Wohnung, die ich geliebt habe. Hauptsächlich aus der schlichten Tatsache heraus, dass sie sich in Rom befand. Und natürlich wegen der großen Balkone, auf denen man im dritten Stock zwischen Zitronenbäumen und Pinienwipfeln selbst im Herbst noch laue Abende genießen durfte. Ansonsten wies die Unterkunft einige Unliebsamkeiten auf. Die Stromleitungen stammten aus den 1960er Jahren und streikten sobald mehr als zwei oder drei Elektrogeräte gleichzeitig in Betrieb genommen wurden. Das Haus war so hellhörig, dass man dem abendlichen Fernsehprogramm aller drei Nachbarn gleichzeitig lauschen musste. Im Winter herrschten in den Räumen knackige Tiefsttemperaturen. Die Heizung wurde nur stundenweise angestellt und durch die einfachverglasten Fenster mit nichtisolierten Holzrahmen zog ein kühles Lüftchen. Kurzum: Die Wohnung litt unter einem massivem Investitionsstau. Für dessen Beseitigung zeigte der Vermieter allerdings wenig Begeisterung. Ich vermute bis heute noch, dass er den langfristigen Plan hegte aus dem Apartement das nächste Kolosseum zu machen. Einfach zweitausend Jahre lang nichts reparieren und die Immobilie wäre am Ende ein Vermögen wert.

 

Eines Tages stellte ich also eines der Fenster im Schlafzimmer zum Lüften auf. Leider zog es an diesem Morgen mehr als üblich und das Fenster knallte mit solch einer Wucht in den Holzrahmen zurück, dass die Scheibe zerbrach. Antonio unser Hausmeister, die gute Seele des condominio (Wohnanlage) wohnte bei uns im Haus. Noch für den gleichen Nachmittag organisierte er einen Glaser, mit dem er zusammen gut gelaunt mein Schlafzimmer betrat. Dem Handwerker entglitten seine fröhlichen Gesichtszüge beim Anblick der Fenster.

"Und, was meinst Du?", fragte Antonio.

"Lass mir noch einen Augenblick. Ich komme aus Norditalien, da bekommt man nicht allzu  oft solche Fenster zu sehen."

"Was meinst du damit?" Im Gegensatz zu Antonio hatte ich begriffen, dass der Glaser unsere Fenster für ein typisch südländisches Phänomen hielt.

"Sieh dir mal die Holzrahmen an. Da wohnen Würmer drin.  Die komplette Konstruktion ist veraltet."

"Was interessiert mich das Alter?" Antonio zuckte mit den Achseln. "Es sind Fenster. In der Mitte ist Glas, man kann sie auf und zu machen. Basta!"

"Genau. Und im Winter lassen sie die  Wärme schön raus und den kalten Wind rein.", murmelte der Glaser kopfschüttelnd

"Sollen wir etwa alle Fenster ausbauen nur weil sie alt sind?", fragte Antonio verblüfft.

"Sie sind uralt, Antonio."

"Alt? Uralt?" Der Hausmeister schien plötzlich etwas aufgebracht und ließ seine Hände hektisch durch die Luft kreisen, als wolle er die Diskussion um die Fenster einfach wegwedeln. "Meine Oma ist auch uralt. Schmeisse ich sie deswegen auf den Müll? NEIN!"

Weder der Glaser noch ich hatten diesem Argument etwas entgegenzusetzen. Der Handwerker machte sich ans Ausmessen und ich nahm mir vor, diesen Dialog irgendwann einmal aufzuschreiben. Als ein anschauliches Beispiel für den Konflikt zwischen Rom und der Moderne.

Ihr Möchtet Mehr über das moderne Rom Erfahren?

Im "Fettnäpfchenführer Rom" habe ich dem modernen Teil der Stadt ein ganzes Kapitel gewidmet. Darin findet Ihr eine Tour durch das Stadtviertel Flaminio. Den Fettnäpfchenführer gibt es online bei Thalia, bei amazon oder dem Buchhändler Eurer Wahl zu bestellen.

 

Im "Styleguide Rom " von National Geographic zeige ich Euch das Rom von heute: kreative Küchenchefs, junge Designer, moderne Ateliers und Museen sowie angesagte Läden zwischen antiken Überbleibseln und barocken Palazzi. Den Styleguide erhalten Ihr online bei Thalia, amazon oder dem Buchhändler Eurer Wahl.

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