Ich kann mich noch gut an den Wahlkampf für die Europawahlen 2014 erinnern. Wir waren gerade erst vor ein paar Monaten nach Rom gezogen. Meine Italienischkenntnisse hatten sich so verbessert, dass ich den Politik-Talk-Shows im italienischen Fernsehen einigermaßen folgen konnte. Dabei begegnete ich zum ersten Mal Matteo Salvini, dem Chef der damaligen Lega-Nord.
Heute heißt die Partei nur noch Lega. Zwischenzeitlich hat man sich nämlich von dem Gedanken verabschiedet, den reichen Norden mit wüsten Beschimpfungen vom ärmlichen Süden zu trennen und ist jetzt lieber im Mezzogiorno auf Stimmenfang. Wie dem auch sei, an diesem Abend wetterte Salvini gegen die deutsche Dominanz in Europa, machte das Spardiktat der deutschen Bundeskanzlerin für die italienische Wirtschaftskrise verantwortlich und sagte: "Die Deutschen sind fett geworden auf den Schultern der italienischen Arbeiter". Ein Satz der mich nachhaltig empört hat, vermutlich weil mich die Bösartigkeit, die in den Worten mitschwang, unvorbereitet getroffen hatte. Zur gleichen Zeit verfolgten mich überall in Rom Busse, auf denen das Konterfei von Giorgia Meloni prangte. Frau Meloni ist die Vorsitzende der Fratteli d Italia und das in der Tat sehr hübsche Gesicht der italienischen Rechten. Neben ihrem ondulierten blonden langen Haaren, auf Höhe der knallroten Lippen stand in großen Lettern geschrieben: Für ein nicht-deutsches Europa! Als mich dann einige Tage später im Supermarkt ein italienisches Ehepaar anpöbelte, was denn die Deutschen hier in Rom zu suchen hätten, in Deutschland bei Frau Merkel wäre doch alles sooo viel besser, da entschied ich, mich für eine Weile nicht mehr sofort als Deutsche zu outen. Zumindest so lange bis mein italienischer Wortschatz für eine adäquate Antwort ausreichen würde...
Ahhhhh Tedesca!
Irgendwann nach den Wahlen ließ die mediale Deutschland-Fixierung nach und ich gab ohne Bedenken meine Staatsangehörigkeit preis. Gerade bei älteren Herren provozierte das Geständnis "Sono tedesca" die immer gleiche Reaktion. "Ahhhhh tedesca!" Lange Pause. Wissendes Kopfnicken. Tiefes Seufzen. "La Merkel!" Pause. Am Anfang hatte ich noch geglaubt, dass irgendeine Reaktion von mir erwartet würde. Ein Hinweis vielleicht, dass ich nicht im Auftrag der Kanzlerin überprüfe, ob die Italiener auch schön sparsam sind. Oder die Erwähnung, dass wir Deutschen kein Borg-Kollektiv sind, dem Frau Merkel als Borg-Königin vorsteht. Aber soviel Stark Trek-Wissen darf man ja nicht einfach voraussetzen. Irgendwann habe ich dann herausgefunden, dass hochgezogene Schultern in Kombination mit einem "Si, si, la Merkel" mich am schnellsten aus der Situation brachten. Ansonsten drohten Monologe über Austeritätspolitik oder Exkurse in die Volkswirtschaftslehre, die Karl Marx gut gefallen hätten.
All diese teils skurrilen Erlebnisse sind in Anbetracht der vielen positiven Erfahrungen, die ich in Italien gemacht habe, ein wenig in Vergessenheit geraten. Seit vorgestern drängen sich all diese Geschichten jedoch wieder mit voller Wucht in mein Gedächtnis zurück. Und wer ist Schuld? Günther Oettinger! Ein nicht so ganz korrekt übersetztes Zitat aus einem Interview mit ihm, wurde erst auf Twitter gepostet, um dann die italienische Medienlandschaft in Aufruhr zu bringen: Die Märkte würden Italien lehren bei Neuwahlen das Richtige zu wählen. Eine Steilvorlage für Matteo Salvini! Sofort sprach er von einer Drohung aus Deutschland, einer Beleidigung des italienischen Volkes. Die Italiener wären nicht der Sklaven der Deutschen, Franzosen, Märkte oder des Spread. Mittlerweile ist die korrekte und nicht ganz so spitze Wortwahl Oettingers samt seiner Entschuldigung in Italien angekommen, die Empörung bleibt jedoch grenzenlos.
Empörung auf allen Kanälen
Um diese grenzenlose Empörung ein ganz wenig nach voll ziehen zu können, möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge aus dem italienischen Alltag verraten. Grundsätzlich regt man sich in Italien anders auf als in Deutschland. Während wir die Tendenz haben lange vor uns hin zu meckern, macht man sich weiter im Süden gerne kurz mit einem gewissen Hang zur Theatralik mal so richtig Luft. Wenn es um vermeintliche Einmischung aus Deutschland geht, wird es grundsätzlich heikel. Wie schon erwähnt wird seit Jahren von Seiten der Politik aber auch vieler Medien, Deutschland die Schuld an der Wirtschaftsmisere in Italien gegeben. Darüber hinaus vergeht kein Tag, an dem nicht in irgendeiner Zeitung eine Statistik abgedruckt ist, in der Italien hinter Deutschland landet. Italiener lieben Statistiken genauso wie den sportlichen Wettbewerb. Dieser ständige Vergleich, bei dem man oft das Nachsehen hat, tut jedoch irgendwann in der Seele weh. Und dann ist da natürlich noch unsere gemeinsame Geschichte, die bei solchen wenn auch unpassenden Gelegenheiten gerne hervorgeholt wird. So schrieb ein sehr entfernter Bekannter, dass sein Opa nicht die Partisanen versteckt und für die Freiheit Italiens gekämpft hätte, damit heute der deutsche Oettinger diese Freiheit erneut bedrohe.
Was bitte ist lo Spread?
Andere wiederum reisen nicht zurück in die Vergangenheit, um ihrer Empörung Raum zu geben, sondern schreiten zur Tat.
Eine Bekannte hat mich auf einen Facebook-Post aufmerksam gemacht, der bisher über 77.000 mal geteilt worden ist.
Ein Tankstellenbesitzer vom Gardasee hat ein Foto von einem handgeschriebenen Zettel im Fenster einer Bar geschossen.
Darauf stand sinngemäß übersetzt:
"Wir informieren die deutsche Kundschaft, dass für sie die Preise um 50 Prozent angehoben wurden.
Warum? Weil wir die Deutschen für den Spread verantwortlich machen.
Außerdem halten uns die Deutschen sowieso für Schmarotzer. Wir danken für Ihr Verständnis!"
Wer sich jetzt nicht ganz unberechtigt fragt " Was ist ein Spread" und "Was bitte schön haben die Deutschen damit zu tun", für den habe ich hier eine kurze, hoffentlich korrekte Erklärung. Der Spread zeigt den Unterschied in der Verzinsung von Staatsanleihen an. Ein hoher Spread zwischen Deutschland und einem anderen Land gilt auf den Finanzmärkten als Krisenindikator und wird teuer für das andere Land. Investoren lassen sich das Risiko mit höheren Zinsen ausgleichen. Kurzum: Den Grund für den rasant gestiegenen Risikoaufschlag auf italienische Staatsanleihen sehen viele nicht in der italienischen Regierungskrise sondern in der schlichten Tatsache, dass auch in diesem Falle Deutschland das Maß der Dinge ist.
Socken zu Hause Lassen und Schultern Hoch!
Wer jetzt Sorge hat, dass sein Urlaub am Gardasee teurer wird, den darf ich beruhigen. (Im Zweifelsfall habt Ihr für den Cappuccino sowieso schon immer mehr als die Einheimischen bezahlt...) Neben vielen Post-Kommentaren, die zu heftigem Kopfschütteln einladen, haben sich reichlich viele Italiener zu Wort gemeldet, um für ein freundliches Miteinander zu plädieren. Allerdings wäre es wohl für einige eine große optische Erleichterung wenn nicht so viele deutsche Urlauber weiße Socken in Sandalen tragen würde.
Da die Themen Wahlen und Deutschland wohl den italienischen Sommer überdauern werden,
hier mein ultimativen Urlaubs-Tipps für 2018:
1. NIEMALS über Politik reden!
2. Lasst die weißen Socken im Schrank!
3. Wenn Euch ältere Italiener ansprechen "AHHHHH Tedesci" Lange Pause. Wissendes Kopfnicken. Tiefes Seufzen. "Il Oettinger!" , dann zieht einfach die Schultern hoch, lächelt und sagt: "Si, si il Oettinger".
4. Solltet Ihr dennoch schlechte Erfahrungen in eurem Urlaub machen (schreibt mir davon..), dann bedenkt bitte, dass auch bei uns das Alle über einen Kamm scheren leider sehr in Mode ist.