Nach langer Suche habe ich nun endlich meinen idealen römischen Sportplatz gefunden. Durch mein Stadtviertel fährt die Ferrovia, die Eisenbahn. In einem Tunnel versteckt. Auf diesen Tunnel hat man ein wahrhaftiges Naherholungsgebiet platziert. Mitten zwischen mehrstöckigen und eng stehenden Wohnhäusern verläuft ein breiter Weg, der sogar um einen rot gekennzeichneten Radweg ergänzt wurde. Rechts und links wird das Ganze von tatsächlich geflegten Blumenkübeln geziert. An einer der Bahnstationen wurde eine kleine Piazza mit Bänken und einem Brunnen kreiert. Es ist unwirklich ruhig und dank der reichlichen Balkonbepflanzungen der umstehenden Häuser ausgesprochen grün. Die eigentliche Attraktion dieser Straße über dem Tunnel sind aber die Römer selbst. Sie haben dieses Flecken für ihre tägliche Dosis Sport erobert. In jedem erdenklichen Tempo. Auf jedem erdenklichen Fortbewegungsmittel außer Autos und Motorini. Wenn ich mich wie heute bereits um 7.00 Uhr auf den Weg mache, habe ich die Strecke fast für mich alleine. Aber am Abend tobt hier das römische Leben. Grüppchen von älteren Ehepaaren bewegen sich im Schlendertempo aber im vollen Sportdress samt der offenbar obligatorischen Umhängetaschen fort. Durchtrainierte Profis bereiten sich auf den nächsten Rom Marathon vor. Kinder lernen Fahrradfahren. Erwachsene, die es nie gelernt haben, tun es trotzdem. Hunde aller erdenklichen Rassen führen Ihre Besitzer aus. Auf den Bänken haben diejenigen Platz genommen, die anderen gerne beim Sport zugucken. Aus den geöffneten Fenster der Nachbarhäuser dringen lautstarke Unterhaltungen herunter. Heute Morgen zum Beispiel wurde eine Elisa mehrfach aufgefordert: "Scendi!" "Komm herunter!" "Wo herunter?", habe ich noch gedacht, als die aufgebrachte Männerstimme schon weiter polterte: "Elisa man steht nicht mit Schuhen auf dem Küchentisch." Solche Lebensweisheiten und Einblicke bekommt man frei Haus auf diesem Weg mitten durch den römischen Alltag geliefert. Es wird gejoggt, gewalkt, getratscht und vor allem "Bella Figura" gemacht. Denn auch der Sport über dem Tunnel funktioniert nach dem System: Sehen und gesehen werden. Und zwar offensiv. Hier gibt es keine heimlichen, verstohlenen Blicke, die man einem durchtrainierten Körper (oder wahlweise Körperteilen) hinterherwirft. Hier wird schon von Weitem taxiert und in der Nähe im Detail gecheckt. An diese Schaulust muss man sich als zugezogener Nichtitaliener erst einmal gewöhnen. Zu meiner guten Kinderstube gehörte noch der Hinweis, man solle seine Mitmenschen nicht mit Anstarren belästigen. Hier in Rom ist Selbiges eher ein ritualisiertes Gesellschaftsspiel, bei dem wirklich jeder mitmacht.
Wenn auch Sie einmal einen Blick mitten ins pure römische Leben werfen wollen, dann fahren Sie z. B. ab der Piazza Cavour mit der Buslinie 990 bis zur Haltestelle De Carolis - Damiano Chiesa. Sie fahren übrigens ins den Stadtteil Balduina. Von dort gehen Sie an der großen Kreuzung in die Via Diamo Chiesa. Auf der linken Straßenseite führen Treppen nach unten auf die Straße über dem Tunnel. Schlendern, schauen und staunen Sie bis zur Stazione Appiano. Hier können Sie mit der Buslinie 990 (Richtung Piazza Cavour) wieder in die Innenstadt fahren. Ideale Uhrzeit für diesen Ausflug ist unter der Woche vor dem Abendessen um 19.00 oder 19.30 Uhr. Momentan sind die Temperaturen noch erträglich. Oder am Wochenende an einem Sonntag ab 9.30 Uhr. Viel Spaß!