Der zweite Tag der Reise begann mit einem Frühstück im Kreise vieler Valentins-Paare, die allesamt ein wenig verkartet wirkten. Ich hingegen war bereit für einen spannenden Sonntag in Siena. Der Stadt der Gotik. Der schönsten Stadt der Toskana wie viele sagen. Der Panoramaausblick auf die Türme Sienas war leider nicht ganz so hübsch. Dunkle Wolken türmten sich am Horizont auf. Dieses Mal fuhr der Bus (sonntags 1-mal die Stunde) direkt vor dem Hotel ab und brachte uns zur "Piazza Gramschi", wo sich neben dem Busbahnhof auch das Fußballstadion befindet. An diesem Tag stand das sportliche Highlight der Saison an. Das Derby! Siena gegen Pisa. 4.Liga. Trotzdem eine ganz große Nummer. Im Bus wurde sogar gemunkelt, dass während der Spielzeit kein Busse verkehren würden. Wir wendeten uns jedoch von dem sportlichen Highlight des Tages ab und tauchten ab ins mittelalterliche Siena. Wie aus dem Ei gepellt sind die verwinkelten Gassen, in denen man sich in eine andere Zeit versetzt fühlt. Nur die unzähligen, geschmackvoll eingerichteten Shops und Bars erinnern an das Hier und Jetzt. Wobei überraschend wenige Touristen unterwegs waren. Sogar auf der berühmten "Piazza del Campo", auf der im Sommer die Pferderennen stattfinden und der "Torre del Mangia" 100 Meter in den wolkigen Himmel ragte, befanden sich keine Menschenmassen. Ein Teil der Restaurants, die sich um den Platz aufreihen, war bis März sogar geschlossen.
Nur ein paar Schritte entfernt stösst man auf den Duomo Santa Maria Assunta. Der Besuch der schwarz/weiss-gestreiften Kathedrale ist ein wirkliches Muss. Der sehr ambitionierte Baubeginn fand Anfang des 13.Jahrhunderts statt und fand 1 Jahrhundert später mit dem Ausbruch der Pest sein Ende. 3/4 der Bevölkerung der Stadt und auch der Dombaumeister sollen dem schwarzen Tod zum Opfer gefallen sein. Dass die Arbeiten an der Kathedrale nie beendet wurden, erkennt man am "Facciatone". Die reine Fassade des unvollendeten "Duomo Nuovo". Heute kann man sie besteigen und einen Blick auf die Stadt werfen. Der Eingang liegt im "Museo del`Opera", in dem Kunstwerke und -schätze des Doms aufgestellt werden. Wir haben für 8 EUR ein All-inklusive-Eintrittsticket erworben. Neben dem "Facciatone" und dem Museum konnten wir damit noch die Krypta, das Baptisterium und die wundervolle "Piccolomini-Bibliothek" besuchen. Alles in allem absolut sehen- und empfehlenswert, nicht nur bei Regen, der mittlerweile in Siena eingesetzt hatte.
Den Rest des Tages haben wir uns einfach durch Siena treiben lassen. Wenn man nicht auf ein bestimmtes Ziel fixiert ist, hat man eher ein Auge und Ohr für Kleinigkeiten, Besonderheiten und Merkwürdigkeiten. Was uns direkt aufgefallen ist, dass viele Kinder ihre Väter nicht "Papa" nennen, sondern "Babbo". Eine doch eher antiquierte Form der väterlichen Ansprache. So zumindest urteilte mein Angetrauter samt seiner italienischer Wurzeln. Ich musste ständig an "Babbo Natale", den Weihnachtsmann denken. Vielleicht lag es aber auch an den frösteligen Temperaturen... Zum anderen sind da diese bemerkenswerten Rolltreppen-Stationen, die auf den ersten Blick wie Zugänge zu U-Bahnstationen wirken und die die tieferen Stadtteile und die Bezahlparkplätze für Touristen mit der höher gelegenen Altstadt verbinden. Vor allem fiel mir aber auf, dass Siena (zumindest an diesem Tag) nicht die typischen Insignien einer italienischen Touristenmetropole aufweist. Niemand wollte mir einen Regenschirm oder eine Selfie-Stange verkaufen. Shops, Bars und Restaurants sind sehr liebevoll eingerichtet. Die Sienesen, auf die wir trafen waren äußerst zuvorkommend und zeigten nicht die römische Unfreundlichkeit derer, die von den täglichen Touristenmassen gelangweilt sind. Ein kleines kulinarisches Beispiel an dieser Stelle: Am Abend hat es uns in einen tiefer gelegenen Stadtteil gezogen. Genauer gesagt in die "Trattoria Fontenuova", Piazetta d`Olive. Anfangs war ich noch ein wenig skeptisch gewesen, ob die Locationauswahl so gelungen war. Wir waren die einzigen Gäste und es wirkte auch so als hätte niemand mit ebensolchen gerechnet. Die Töchter des Hauses hatten sich an mehreren Tischen verteilt und spielten nach einem gelangweilten Blick in unsere Richtung weiter an ihren Handys. In der Küche konnte man eine ältere schmale Dame mit Tuch auf dem Kopf und riesiger Brille im Gesicht herumwerkeln sehen. Die vom freundlichen Vater der zwei Teenager dargereichten Karten hatten auch schon in diversen Händen und Saucen gelegen. Mittlerweile füllte sich das Lokal. Mit Familienangehörigen. Die äußerst adrette "Zia", Tante, erschien mit ihrer kleinen Tochter nebst "Babbo". Offenbar gab es heute "Cena" mit italienischen Familienanschluss. Während ich sensationell gute "Pici al Cinghiale" (Pasta mit Wildschweinragu) mit einem hevorragenden Rotwein genoß, kam die Restaurant-Familie an einem großen Tisch zum Essen zusammen. Platten mit Pasta, Fleisch und Salat wurden aufgetragen. Weinflaschen geöffnet. Jeder aß wann und was er wollte. Während die alte Dame in der Küche zielstrebig arbeitete. Zwischendurch kam mein Secondo: Rindfleischstreifen mit Rucola und Parmesan. Schon oft gegessen, aber selten in dieser hohen Qualität. Unser Nachwuchs verspürte noch Lust auf einen kleinen Nachtisch und wählte Schokokuchen mit Eis. Wir wunderten uns schon, dass die Zubereitung ein wenig Zeit in Anspruch nahm, die wir uns mit netten Lächeln und Winken an den Nachbartisch vertrieben. Mittlerweile fühlte ich mich wie in einem Wohnzimmer bei einem italienischen Familienessen.
Was dann an unseren Tisch gebracht wurde, kam war der beste Schokokuchen der Welt. Ein frischgebackenes warmes Schokoküchlein mit zerlaufendem Schokokern und von drei verschiedenen Eissorten umzingelt. Buonissimo!!!Nachdem dieses Kompliment die Küche erreicht hatte, gab es zum Espresso noch Karnevalsgebäck mit reichlich Puderzucker. Verlassen haben wir die Trattoria unter lauten "Grazie" und Winken. Sogar die Chefköchin verließ ihr Reich, um sich zu verabschieden. Wir hatten noch nicht die Tür geschlossen, da startete schon die Fragerunde an den Vater, der uns bedient hatte los: Woher kamen die? Waren das Deutsche? Oder Italiener? Ich kann nach diesem Abend auf jeden Fall ganz sicher sagen: Sollten Sie in Siena sein, dann machen Sie einen Abstecher in die "Trattoria Fontenuova".